Redebeitrag vom 22. März

Redebeitrag der Initiative Our House Nansen 1 bei der Kundgebung gegen Repression am 22.03.19

Wir, die Aktivistinnen und Aktivisten der Initiative Our House Nansen 1, sind heute hier, um erneut unsere Forderungen deutlich zu machen.

Es ist jetzt fast ein Jahr her, dass Aktivistinnen und Aktivisten Ende April 2018 das leerstehende Wohnheim des damaligen Goethe-Instituts am Fridtjof-Nansen-Weg symbolisch besetzt hatten. Wir haben gezeigt, dass es für die Stadt Göttingen, zu der Zeit Besitzerin des Gebäudekomplexes, durchaus möglich wäre, unkompliziert günstigen Wohnraum zu schaffen. Wir forderten außerdem die sofortige Schließung der Notunterkunft an der Siekhöhe, die eine unwürdige Massenunterbringung für Geflüchtete darstellt.

Im Laufe der einwöchigen friedlichen Besetzung gab es einen regen Austausch mit den Anwohnerinnen und Anwohnern, von deren Seite wir viel Solidarität erfahren haben. Auch gab es Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Parteien, die sich unseren Forderungen gegenüber teilweise einsichtig zeigten. Die Abläufe des Goethe-Instituts, das damals den Komplex gemietet hatte, blieben von unseren Protesten unbeeinträchtigt. Dennoch entschieden sich die Leiterin des Goethe-Instituts Frau Hoffmann-Steinmetz, die Verwaltung der Stadt Göttingen und OB Köhler dazu, das Wohnheim am 07. Mai räumen zu lassen.

Was ist seitdem passiert? Seitens der Stadtverwaltung und der Politik leider nicht viel.

Das Goethe-Institut ist entsprechend seiner Vertragsbestimmungen im Juni 2018 aus den Räumen an der Merkel-Straße ausgezogen. Das Gebäude wurde an den Hogrefe-Verlag verkauft, obwohl es Gutachten von Experten gab, die die Möglichkeit einer Renovierung und anschließender städtischer Nutzung nahe legten. Somit hat die Stadt Göttingen eine weitere Chance vergeben, günstigen Wohnraum für diejenigen Menschen zu schaffen, die ihn dringend brauchen: Geflüchtete und andere Wohnungssuchende mit wenig finanziellen Mitteln. Stattdessen steht das Wohnheim immer noch leer – eine Schande in einer Stadt, in der bezahlbarer Wohnraum denkbar knapp ist.

Die Notunterkunft an der Siekhöhe existiert weiterhin. Trotz des massiven Protestes und der zahlreichen Dokumentationen negativer Folgen auf die Psyche der dort untergebrachten Menschen wurde die Laufzeit im Mai 2018 sogar noch einmal verlängert. Dennoch ist es als ein Erfolg der Initiative Our House Nansen 1 zu werten, dass die Mitglieder des Sozialausschusses durch die Aktivistinnen und Aktivisten gezwungen wurden, sich endlich mit den menschenunwürdigen Bedingungen auseinanderzusetzen, die in der Siekhöhe herrschen, und die Stimmen der Betroffenen nicht länger zu ignorieren. In dem verabschiedeten Beschluss wurde daher schriftlich fixiert, dass die Verlängerung der Notunterkunft bis Ende Juni 2019 die letztmalige sei. Trotzdem versuchte Sozialdezernentin Broistedt im November 2018 noch einmal, Mehrheiten für eine weitere Verlängerung des Betriebs der Siekhöhe zu finden. Doch die Mitglieder des Sozialausschusses gingen nicht darauf ein. Auch dies ist ein Erfolg des öffentlichen Drucks, den die Initiative Our House Nansen 1 erreicht hat.

Wir sind aber heute nicht nur hier, um unsere Forderungen nach bezahlbarem Wohnraum und der Schließung der Notunterkunft Siekhöhe erneut und mit Nachdruck zu formulieren. Wir sind auch hier, weil unser offensichtlich berechtigter und friedlicher Protest unverhältnismäßig kriminalisiert wird. Obwohl das Goethe-Institut keinerlei Schaden davongetragen hat und es auch während der Besetzung zu einvernehmlichen Absprachen mit der Institutsleiterin Frau Hoffmann-Steinmetz gekommen war, hat die Leitung Strafanzeige gestellt und hält weiterhin daran fest. In der Folge sind über zwanzig Strafbefehle bei Aktivistinnen und Aktivisten eingegangen. Diese Strafbefehle, gegen die alle Betroffenen Widerspruch eingelegt haben, enthielten unverhältnismäßig hohe Bewährungsauflagen von zwei Jahren. Darüber hinaus sehen sie eine Geldzahlung an das Goethe-Institut vor. Mehrfach richteten wir Gesprächsangebote an die Institutsleiterin Frau Hoffmann-Steinmetz, die sie zu unserem Bedauern ablehnte. Die Verwirklichung der in der Selbstbeschreibung des Goethe-Instituts formulierten Ziele nach interkulturellem Dialog und der Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen wird durch die Aufrechterhaltung der Strafanzeigen unmöglich gemacht. Darüber hinaus sind die unverhältnismäßig hohen Strafen der Versuch, die Aktivistinnen und Aktivisten einzuschüchtern und für weiteren politischen Protest handlungsunfähig zu machen. Doch das wird nicht passieren. Wir werden uns den Mund nicht verbieten lassen!

Wir verurteilen das Vorgehen des Goethe-Instituts aufs Schärfste und fordern nach wie vor, die Strafanzeigen zurückzuziehen. Sollte das nicht geschehen, sehen wir den anstehenden Gerichtsterminen geschlossen und entschlossen entgegen – und das Goethe-Institut sowie Frau Hofmann-Steinmetz können sich auf eine ungemütliche, protestreiche Zeit freuen.

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